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Papierflieger in Paris
Dekonstruktivismus in Frankfurt
Frankfurter Rundschau, 8.12.2004
von Sandra Danicke

Als Jacques Derrida am 8. Oktober dieses Jahres in einer Pariser Klinik starb, waren Jacqueline Jurt und Harald Pridgar zufällig in der Stadt. Der Grund war ein Atelierstipendium der Hessischen Kulturstiftung, das den beiden, sonst in Frankfurt lebenden Schweizer Künstlern einen einjährigen Aufenthalt in der Metropole ermöglicht. Der französische Philosoph, der unter anderem an der Université Sorbonne in Paris gelehrt hat, war ein Verfechter des Dekonstruktivismus. Ihn beschäftigte das Problem, wie sich etwas von der Tradition Abweichendes denken lässt, wenn das Denken selbst durch diese Tradition geprägt ist. Ein Angriff auf die Metaphysik von außen macht nach Derrida keinen Sinn, weil es keinen Standpunkt außerhalb geben kann.

Poetische Dekonstruktion
2004, Dekonstruktivismus ist auch der Titel der Arbeit, die Pridgar und Jurt derzeit in der Frankfurter Galerie Station im Mousonturm zeigen - eine poetische Dekonstruktion des Derridaschen Dekonstruktivismus, wenn man so will. Und eine Arbeit über den Raum.
Tatsächlich nutzen Pridgar und Jurt, die beide an der Frankfurter Städelschule studiert haben, von dem ihnen zur Verfügung stehenden Ausstellungsraum nur ein winziges Fleckchen auf dem Fußboden. Darauf stehen ein Projektor und ein aufgeschlagener Buchdeckel, auf dessen Innenseite ein fünfeinhalbminütiger DVD-Film projiziert wird, in dem es ebenfalls um die Überwindung von Raum zu gehen scheint.
In dem Schwarzweiß-Film wird Derridas Dekonstruktivismus im Wortsinne dekonstruiert, indem Seite für Seite herausgetrennt wird. Als Papierflieger fliegen die Inhalte schließlich durch die Pariser Luft, von der Sorbonne in den Himmel.

Draußen sieht man historische Uhrtürme. Und es ist schon erstaunlich, wie sehr das Sujet Turm und Flugobjekt mittlerweile besetzt ist mit grauenhaften Bildern der Zerstörung. Selbst wenn es wie hier in poetischer Weise umgesetzt wird, sind plötzlich die Bilder vom 11. September 2001 im Unterbewusstsein präsent - und damit eine äußerst konkrete Form von Dekonstruktivismus. Aber womöglich ist das nur Zufall.
In der Architektur bedeutet Dekonstruktivismus die Auflösung starrer Formen; die räumlichen Bestandteile, die ein dekonstruktivistisches Gebäude ausmachen, erscheinen zuweilen regelrecht planlos in- und übereinandergeschoben. Im Dekonstruktivismus von Pridgar und Jurt überlagern sich Formen und Inhalte, nehmen neue Aggregatzustände an und sind im Sinne Derridas ein Beleg dafür, dass keine Zuschreibung endgültig und keine Bedeutung definitiv feststehen kann.